Freitag, Dezember 01, 2006

Antwort an einen verschollenen Quartalsblogger


Unter dem Pseudonym "Dave Gordan - Ein Mann, ein Auto, ein Computer" entlädt ein Blogger, der sich Dave Büttler nennt, hin und wieder seinen gerechten Volkszorn in kurzen heftigen Stössen. Und jeweils parallel mit einer Email, mit dem Hinweis, er wolle die Antwort der Geschmähten dann auch veröffentlichen. Nun hat sich der Zorn dieses Gerechten auch über einen Radiobeitrag (Podcast) (zum hinreissenden Film "Shortbus") von mir ergossen. Ich habe postwendend geantwortet, per Email und mit einem Kommentar-Posting auf seinem Blog. Pustekuchen. Dave Gordan weilt auch eine Woche später noch in seinem parallelen Universum und schaltet nicht einmal die Kommentare frei, ganz zu schweigen davon, dass er meine ausführliche Antwort auch wie versprochen veröffentlicht hätte. Also mache ich das eben selber und hier:


Von: Sennhauser, Michael
Gesendet: Montag, 27. November 2006 10:42
An: 'dave@mondmil.ch'
Cc: DRS2, DRS2aktuell
Betreff: AW: Michael Sennhauser: Shortbus


Lieber Dave Büttler,

Die Tatsache, dass ein Film wie "Shortbus" bei uns ins Kino kommt, ist für mich nicht nur erfreulich, sondern auch ein absolut hinreichender Grund, ihn in unserem Kulturmagazin DRS2aktuell zu besprechen. Nur schon damit sich Zuhörerinnen und Zuhörer gegebenenfalls für oder eben auch gegen einen Kinobesuch entscheiden können. "Shortbus" ist einer der wenigen Filme, die sich mit dem, was Sie die "zunehmende pornografierung des Alltags" nennen, auseinander setzt. Durchaus kritisch im übrigen, eine der Figuren führt ihre eigenen Probleme darauf zurück. "Shortbus" ist kein Pornofilm, auch wenn er die technische Definition dafür erfüllt.

Wenn ich Ihre Einwände lese, komme ich allerdings zum Schluss, dass es mir nicht gelungen ist, zu vermitteln, was "Shortbus" meiner Meinung nach eben zu einem positiven, erfreulichen und liebenswürdigen Film macht, ja sogar zu einem Plädoyer für die von Ihnen angeführte Zweier Beziehung. Da war ich wohl zu optimistisch in der Hoffnung, dass die Besprechung genügen könnte, um jemanden dazu zu bringen, sich auf den Film einzulassen.

Ich als Journalist ärgere mich meinerseits über die zunehmende reflexartige Abwehrreaktion vieler Menschen gegenüber genau jenen Produktionen, die sich mit heiklen Themen auseinander setzen. Wenn ultrareligiöse Organisationen sich gegen Filme verwahren, die sich keiner der Aktivisten angesehen hat, dann erschreckt mich daran vor allem der blinde Herdentrieb, die Reaktion auf missliebige Stichworte. Ob nun christliche Aktivisten vor Kinosälen protestieren oder islamistische Demonstranten sich lautstark über eine Papstrede aufregen, die sie nicht gehört oder gelesen, geschweige denn verstanden haben: Es ist diese Gartenlaubenmentalität, die davon ausgeht, dass die Bekämpfung von (vermeintlichen) Symptomen das Übel zum Verschwinden bringen könnte.

Mit Ihren Argumenten müssten sie sich zum Beispiel viel eher gegen die breite Berichterstattung zum neuen James-Bond-Film zur Wehr setzen. Der ist nicht nur attraktiv und freigegeben für Jugendliche (im Gegensatz zu "Shortbus"), sondern (im gewohnten Rahmen) gewaltverherrlichend und ganz sicher stilbildend und prägender für die "labilen" Jugendlichen, die Sie am Mittag gerne schützen würden. Es ist aber bezeichnend für genau jene "Doppelmoral", welche Sie beklagen, dass exzessive Gewalt im Kino kaum je im gleichen Masse zu Protesten führt, wie auch nur die Andeutung eines Geschlechtsaktes und es ist eben so bezeichnend für die Mechanik dieser Doppelmoral im Markt, dass in eben diesem neuen James Bond der Sex unglaublich dezent, die Folterung des Helden dagegen unglaublich direkt dargestellt werden.

Zum Schluss noch eine kleine Provokation meinerseits: "Shortbus" vermittelt mit vordergründig pornografischen Elementen eine Botschaft der Liebe, ein Plädoyer für Verständnis für die eigenen Verklemmtheiten und vor allem jene unserer Partner, für Entscheidungsfreiheit und gegen (!) den Leistungsdruck einer künstlich sexualisierten Gesellschaft. Und "Shortbus" findet ausserhalb des Arthouse-Kino Marktes ganz sicher keine Zuschauerinnen und Zuschauer. Mel Gibsons "The Passion of the Christ", ein Film, der - technisch gesehen - so bibeltreu ist, wie Shortbus pornografisch, vermittelt ein Bild des Schreckens und des Horrors von den Leiden Christi, welches manchen und manche Jugendliche ziemlich nachhaltig verstört (und möglicherweise für alle Zeiten von dieser Religion abgeschreckt) haben dürfte. Und der wurde auf Grund der weltweiten religiösen Propaganda zu einem Millionenerfolg. Ich bin überzeugt, dass wir nur auf Grund der eigenen Anschauung und Auseinandersetzung mit Themen (und Filmen) zu selbständigen und liebesfähigen Menschen werden. Ganz sicher nicht über die reflexartige Ausblendung von Dingen nach Stichworten.

Ich bin gespannt, ob Sie meine Antwort nun tatsächlich und vollständig in Ihrem Blog veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüssen:
Michael Sennhauser

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hier gibts einen weiteren ausführlichen Kommentar zum Thema: medienlese

21:26  
Anonymous Anonym said...

Halloo... Also ich bin dieser Dave-Gordan... Wie schnell doch die Zeit vergeht... Mir war gar nicht aufgefallen dass 5 Tage vergangen sein sollen seit die Antwort hier ankommen und ich sie dann gebloggt habe... Nun da lief was schief mit der Konfiguration von meinem Blog...

21:20  

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